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Kölner Stadt-Anzeiger vom 15. Juli 2014, Autor/Fotos: Katzmarzik/Grönert

Antwort auf die Gretchenfrage

"Strandläufer" unterwegs von Langel nach Kasselberg

Irgendwie auch ein Korso. Stoßstange an Stoßstange reihen sich drei Autos und ein Lieferwagen auf der Fähre Langel-Hitdorf aneinander, teilweise noch oder jetzt erst recht schwarz-rot-gold dekoriert. Fährmann und Binnenschiffer Hans-Gerd Kohlmann ist froh, am Tag nach dem WM-Finale die Spätschicht erwischt zu haben. Überhaupt ist er jeden Tag glücklich über seine Aufgabe. „Wenn ich mir vorstelle, jeden Tag in einem Büro vor einem Computer zu sitzen, ist das doch besser“, sagt der 50-Jährige, während über ihm die Möwen kreischen.

Als bekennende „Ökoschlunze“ fährt er, wann immer es geht, mit dem Fahrrad zehn Kilometer von Langenfeld bis zu seinem schwimmenden Arbeitsplatz. „Das brauch ich, sonst nehm’ ich zu.“ Zudem sei es eine wahre Freude, an den Tankstellen mit teurem Benzin vorbeizufahren und den Autofahrer beim Im-Stau-Stehen zuzusehen, von denen immer mehr auch auf die Fähre ausweichen.

Die Großfähre „Fritz Middelanis“ der Häfen und Güterverkehr Köln und der Stadt Leverkusen bei Rheinkilometer 705 mit ihren 42 Metern Länge und vier 80 PS-Motoren wird für immer mehr zur Alternative. Bei Stau auf der Leverkusener Autobahnbrücke – also fast immer – dauert es nicht lange, bis die Autos lieber an seinem Anleger Schlange stehen. „Viele vertrauen der Brücke auch nicht mehr“, seit diese für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen gesperrt wurde.

An Land warten hingegen ein Gefährt, das weder mit Fußball noch mit Stau etwas zu tun haben scheint. Isabelle und Werner Aeschbacher aus Spiez in der Schweiz machen Urlaub in Deutschland, „was bei uns zu Hause keiner verstehen kann“, wie sie sagt. Genauer gesagt „Golf-Hopping“. Sie reisen von Grün zu Grün im Kölner Umland. Und ein Airbrush-Bild auf dem Heck ihres Caravans ziert eine Karikatur des Paars mit Schlägern. Der Immobilienverwalter und die Lehrerin sind große Schland-Fans – nicht erst seit Sonntagabend. „Hier ist man einfach überall willkommen“, schwärmt die 57-Jährige, die im Nebenjob Zweit-Navigations-Gerät ihres Mannes mit Landkarte auf dem Schoß ist.

Die Rheinaue zwischen Langel und Merkenich ist aber auch einfach zu schön. Von dem Rheinrad- und Pilgerweg hoch oben auf dem Hochwasserschutzdamm beeindruckt der Ausblick auf die Auen einerseits sowie mal opulente, mal wild romantische Rückansichten von Gärten, Häusern und Höfen andererseits.

Doch hinter dem Pumpwerk mit der Seerosen-Optik vorbei rechts ab auf dem Kuhlenweg lenkt ein großer Festplatz von jeder Sehenswürdigkeit ab. Zu den Deutschlandfahnen allerorts gesellen sich plötzlich Fähnchen in grün und weiß. Sie markieren das Schützen- und Volksfest der St. Hubertus-Schützenbrüderschaft. Im Festzelt ist die große Spendentombola im Gange. Der zweite Preis, ein Hochdruckreiniger, ist soeben unter lautem Gejohle ihrer Anhänger an die befreundete Bruderschaft aus Zündorf überreicht worden.

Derweil sucht Lukas Schmitz auf der kleinen Kirmes neben dem Kartoffelfeld sein Glück. Er schießt nicht den Vogel, sondern die Plastikblume ab. Der Schülerprinz von 2000 und Prinz von 2008 ist in diesem Jahr nicht beim Königsschießen angetreten. Der Physik-Student hat bald Prüfung in Quantenmechanik und „will den Kopf klar haben“. So ein Majestätstitel würde nur ablenken. „Das ist doch mit allerhand Verpflichtungen verbunden.“ So müssen Würdenträger auf vielen Festen Präsenz zeigen, und das nimmt der 24-Jährige nicht auf die leichte Schulter. Von anderen „oft belächelt“, sei der Sport für ihn seit seinem zehnten Lebensjahr ein tolles Gemeinschaftserlebnis – und Ausdruck seiner Verbundenheit mit seinem Dorf. „Wir haben auch schon den Kindergarten renoviert oder die Kriegsgräber gepflegt. Das gehört alles dazu. Dorf halt.“

Gerade dieser Zusammenhalt sei ihm wichtig. Durch Rheinkassel hindurch, das wieder mehr FC-Fahnen-Heimat scheint, geht es zurück auf den Damm. Vorbei an Obstbäumen und Feldern mit Kürbis und Weizen müssen wir, in Kasselberg angelangt, schließlich die Gretchenfrage stellen. Wer ist das Mädchen, nachdem sowohl Campingplatz als auch einzige Gaststätte im kleinsten Stadtteil Kölns benannt sind? Wir finden es im zweiten Haus, an dem wir klingeln. Margarethe Bast ist inzwischen 74 Jahre alt, geboren wurde sie in dem Wohnzimmer, das heute Gaststätte ist. Von 1972 bis vor wenigen Monaten stand sie selbst hier hinter dem Tresen wie es schon ihre Mutter tat, von der sie nicht nur den Vornamen erbte.

Die Kasselberger selbst waren es, die den Begriff schufen, wenn sie sagten, sie gingen zum „Gretchen“, wenn es sie dürstete. Seit März nun betreibt das Gretchen mit ihrem Mann Erich nur noch den Platz für Dauercamper. Aber wer weiß. Vielleicht haben ja auch sie bald ein Transportgeschäft auf dem Wasser, sollte der Verkehr in Köln noch mehr kollabieren. „Früher war auf unserer Höhe nämlich auch eine Rheinfähre. Das Patent haben wir immer noch.“