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Kölner Stadt-Anzeiger vom 7. Juli 2015, Autor: Waldschmidt

Die Kasselberger Gretchenfrage

Campingplatz und Traditionskneipe sollen Platz für die Natur machen

Seit Jahrzehnten existieren der Campingplatz und das Kasselberger Gretchen im Kölner Norden mitten im Naturschutzgebiet. Das passt nicht mehr zusammen, findet die Stadt.

Nördlich von Merkenich zeigt sich das Rheinufer von seiner schönsten Seite. Baumgruppen, Weiden und Pappeln, wechseln sich ab mit sanft geschwungenen Wiesen, der Strom blitzt lichtblau in der Sonne.
Eine Auenlandschaft wie aus dem Bilderbuch, gleichzeitig aber auch gefährdet durch Eingriffe von Menschenhand. Und so steht entlang des Kasselberger Wegs alle paar hundert Meter das Schild „Naturschutzgebiet“ – als Mahnung an Radfahrer und Spaziergänger, die Natur in Ruhe zu lassen, sie keinesfalls als Freizeitfläche zu benutzen. Dauerurlauber im Naturparadies.

Kurz vor Kasselberg öffnet sich der Weg, zur Linken liegt die Gaststätte Kasselberger Gretchen, gegenüber am Rheinufer erstreckt sich ein Campingplatz für Urlauber mit 45 Plätzen. Vor allem Dauercamper haben ihr Wochenenddomizil aufgeschlagen: Couchgarnitur im Vorgarten, Rosenstöcke, kurzgetrimmter Rasen, Thuja-Hecken als Sichtschutz. Wie passt das zusammen?

Prima, finden viele Kasselberger. Schließlich gibt es die Kneipe und den Campingplatz schon seit Menschengedenken an der Stelle, gefühlt wenigstens. Außerdem fügt er sich doch harmonisch in die Landschaft.

Stimmt nicht, heißt es im Amt für Landschaftspflege und Grünflächen. Die Behörde verlangt, den Campingplatz zu schließen – zwar nicht in naher Zukunft, jedoch auf lange Sicht. Ausschlaggebend seien „naturschutzfachliche Gründe“, heißt es. Der Platz befinde sich ausgerechnet an der engsten Uferstelle und stelle vor allem für die am Rhein lebenden Vögel einen Fremdkörper dar. Angewiesen auf natürliche Vegetation, nähmen sie ihn auf der Suche nach Rast- und Nistplätzen als Barriere wahr.

Die Forderung nach der Entfernung des Campingplatzes steht im für die nördliche Rheinaue neu erstellten Pflege- und Entwicklungsplan. Der PEPL (s.u.) wird derzeit den politischen Gremien präsentiert und war auch im Juni Tagesordnungspunkt auf der Sitzung der Bezirksvertretung Chorweiler. Die Abstimmung wurde jedoch vertagt, die Bezirksvertreter möchten sich zunächst bei einer Ortsbegehung ein Bild machen und haben dazu Joachim Bauer eingeladen, den stellvertretenden Leiter des Grünflächenamtes. Der Termin steht noch nicht fest.

Gefragt, ob sie von der Angelegenheit schon gehört habe, winkt Margarete Bast (75) entnervt ab. Mit ihrem Mann Erich (83) wohnt sie im Nachbarhaus neben dem Kasselberger Gretchen. Gemeinsam betrieben sie bis vor sechs Jahren sowohl die Gastwirtschaft als auch den Campingplatz, mittlerweile hat Sohn Bernd die Geschäfte übernommen.

Das Gretchen ist verpachtet. Namensgeberin der Kneipe war die Großmutter von Margarete Bast, aus Tradition werden in der mütterlichen Linie die erstgeborenen Töchter Margarete getauft.

Seit der Campingplatz besteht, sei sie mit der Forderung konfrontiert, ihn aufzugeben, sagt Bast. „Es brodelt immer wieder.“ 1972 war die Lage so ernst, dass die Kasselberger zum letzten Mittel griffen: „Wir sollten weg, da haben wir vor dem Stadthaus demonstriert.“ Mit Erfolg.

Wann der Campingplatz angelegt wurde, weiß sie nicht genau, auf jeden Fall lange vor ihrer Zeit, ihre Großeltern hätten ihn bereits geführt. Ihre Eltern betrieben die Gastwirtschaft von 1939 bis 1972, danach übergaben sie sie an Erich und Margarete.

Käme für das Wohnwagen-Areal das Aus, befürchtet Bast: „Dann wäre in Kasselberg tote Hose.“ Im Dorf stehen zehn Häuser, zählt sie an den Fingern ab. Sie schätzt die Einwohnerzahl auf etwa 100, die meisten Alteingesessene, und es sei ein harmonisches Miteinander. Schließlich müsse die Dorfgemeinschaft vor allem bei Hochwasser fest zusammenhalten.

Den Uferabschnitt hat die Familie von der Wasserwirtschaftsbehörde gepachtet. Dass der Campingplatz vom Grünflächenamt erneut infrage gestellt wird, beunruhigt die Seniorin mehr, als sie zugeben möchte. „Wat will man maache“, gibt sie sich fatalistisch, um dann einzugestehen: „Wir machen uns schon Gedanken, unsere gesamte Existenz hängt dran. Es war jemand vom Bürgerverein bei uns und hat gesagt: So läuft die Sache, es gibt eine Anhörung.“

Gemeint war die Bezirksvertreterversammlung Anfang Juni. Sohn Bernd ging hin, kam aber unverrichteter Dinge wieder. Nun heißt es: abwarten.

Dieter Brandau, Langeler SPD-Bezirkspolitiker, ist heute Morgen ebenfalls zum Gretchen gekommen, sitzt auf der Terrasse. Seine Meinung steht fest: „Die Diskussion ist alt, sie kocht immer wieder hoch, bestimmt seit 20 Jahren soll der Platz weg, aber der Eingriff in die Natur ist doch marginal.“

Die Anlage beanspruche am Ufer höchstens eine Breite von 25 Metern. Vor Jahren war er selbst in Kasselberg Camper, stellte öfter sein Wohnmobil ab; damals, als er noch in Seeberg wohnte. Nach dem Tod seiner Frau zog er nach Langel. „Wenn wir zu faul waren, nach Holland zu fahren, haben wir das Wochenende hier verbracht.“

„Hallo Ludwig“, grüßt Brandau einen alten Bekannten. Ludwig Peets ist gemeint. Der 75-Jährige gehört mit seiner Frau zu den Dauercampern, er wohnt in Pesch, seit sieben Jahren steht sein Wohnwagen am Rhein. Wenn schönes Wetter ist, fährt er nur zum Duschen und Wäschewaschen nach Hause, erzählt der Rentner.

Was macht er bloß den lieben langen Tag? „Och, der Tag ist so kurz“, sagt Peets. „Rasen schneiden, in der Sonne liegen, Kaffee trinken, fernsehen.“ Ja, er habe davon gehört, dass der Campingplatz von Amts wegen weg soll. „Warum stört er? Ich wüsste nicht, wieso“, wundert sich Peets.



Ein Pflege- und Entwicklungsplan (PEP oder PEPL) ist ein Instrument der Landschaftsplanung nach Kriterien des Naturschutzes. Für das betreffende Biotop wird zuerst eine Bestandsaufnahme über die vorhandene Fauna und Flora erstellt. Das Augenmerk richtet sich dabei auf die typischen und zugleich gefährdeten Arten. Ziel ist, deren Bestand zu sichern beziehungsweise zu stärken. Daher beinhaltet ein PEPL stets konkrete Vorschläge, wie die Vegetation in dem Schutzgebiet für die dort lebenden Tiere noch artengerechter als bislang zu gestalten ist.

Für die die Rheinaue zwischen Merkenich und Langel und die Wahner Kiesgrube liegen derzeit neue Pflege- und Entwicklungspläne vor. Die Umsetzung muss von der Politik beschlossen werden. Im Jahr 2013 gab es einen PEPL für den Linder Bruch in Porz, 2012 für die Rheinaue Rodenkirchen-Bayenthal. Im Falle der nörlichen Rheinaue, die seit 1991 unter Naturschutz steht, bezieht sich der PEPL 2014 auf einen früheren aus dem Jahr 2000.

Zur Aktualisierung erfasste die Nabu-Naturschutzstation Leverkusen 2012 bei einer Langzeitbeobachtung (Monitoring) die schutzwürdigen Tiere und Pflanzen. Der Schwerpunkt lag bei den Vögeln. Demnach leben am Rheinufer etwa Flussregenpfeifer, Gelbspötter, Kiebitz, Nachtigall, Rebhuhn, Pirol und Schwarzmilan. Zum Überwintern kommen Eisvogel, Graureiher, Rohrammer, Weißwangengans.

Einige Vorschläge des PEPL 2014: Die Uferzonen sollen noch stärker als bislang sich selbst überlassen bleiben. Empfohlen wird, die Auenwälder zu erweitern, ebenso die Wiesenflächen. Die will man eventuell durch Pferde und Rinder beweiden lassen.

Landschaftliche Nutzung und Besucherverkehr sollen dagegen noch weiter zurückgeschraubt werden. Den Spaziergängern möchte man mit einem Wegekonzept entgegenkommen. Gleichzeitig ist daran gedacht, empfindliche Bereiche mit Zäunen abzusperren.