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Kölner Stadt-Anzeiger vom 3. Februar 1998, Autor: Manjo Oppenberg

Man hat sich an Köln gewöhnt

Die Rheindörfer Rheinkassel, Langel und Kasselberg haben einen hohen Lebenswert
Manchmal aber fühlen sich die Menschen benachteiligt - Geschäfte sind Mangelware

Bauern und Fischer ernährten sich hier einst von dem, was Feld und Fluß hergaben. Einfach und bescheiden war das Leben in den Rheindörfern Langel, RheinkasseI und Kasselberg. Ihren dörflich-beschaulichen Charakter haben die zum Stadtteil Merkenich gehörenden Weiler im Norden Kölns bewahren können. Auch wenn dort heute nur noch zwei Landwirte ihrem mühsamen Gewerbe nachgehen und viele Gutshöfe längst zu schmucken Domizilen für Städter mit Blick auf den Rhein umgebaut wurden. Ein subjektiver Blick...

Nein, mit der Innenstadt haben die rund 2200 Einwohner der Rheindörfer im Norden Kölns eigentlich wenig am Hut - auch wenn's mit dem Auto "nur 15 Minuten bis zum Dom sind", sagt Dieter Metz, Vorsitzender des Bürgervereins Rheinkassel, Langel, Kasselberg. Kleinere Besorgungen lassen sich in Merkenich oder Worringen erledigen. Und shopping gehen kann man im Chorweiler City-Center oder in Dormagen fast so gut wie in der Schildergasse. Auch der Arbeitsplatz ist meist nicht in der Innenstadt, sondern bei Bayer in Leverkusen, der "Erdölchemie" in Worringen oder bei Ford in Niehl.

Scharen von Ausflüglern

Dafür strömen die Innenstädter hierher. An schönen Wochenenden tummeln sich Scharen von Ausflüglem auf den Dammwegen und entlang der unter Naturschutz stehenden Rheinauen mit ihrer reichen Flora und Fauna. Beliebter Ausgangspunkt für ausgedehnte Spaziergänge und Radtouren ist die Anlegestelle der Fähre Hitdorf-Langel. In Rheinkassel lockt zudem die malerische Kirche St. Amandus zahlreiche Besucher an. So mancher Großstädter hat sich in der Landfrische inzwischen häuslich eingerichtet. Das gutsherrliche Ambiente des Cohnenhofes etwa wußte RTL-Chef Helmut Thoma zu schätzen, der dort in einer der Eigentumswohnungen einige Jahre residierte.
Recht einseitig begann 1922 auch die Liaison der zu Worringen gehörenden Rheindörfer mit Köln. Oberbürgermeister Konrad Adenauer versprach sich von der gegen viele Widerstände aus der Bevölkerung durchgesetzten Eingemeindung neuen Siedlungsraum und Industrieflächen im Norden. So richtig warm wurden die Neu-Kölner mit ihrer Stadt auch später nicht. Auf dem Siedepunkt waren die Spannungen schließlich Ende der 60er Jahre, als die Rheindörfer samt Merkenich und Fühlingen nach den großspurigen Plänen der Stadt einem gigantischen Industriegebiet weichen sollten.
Am 2. September 1971 zogen über 2000 Demonstranten aus dem Kölner Norden vor das Rathaus und forderten in Sprechchören den Stopp der geplanten "Flächennutzungsplan-Änderung 218". Mit Erfolg: Die Pläne, die Dörfer zu schleifen, verschwanden in der Schublade. Industrie und Gewerbe rückten nur im angrenzenden Feldkassel an die Stelle von Wohnhäusern. Und auch das neue Gewerbegebiet Langel hält sich in respektvollem Abstand zu den Anwohnem.
Quer durch die Parteien sei damals der Widerstand gegangen, erinnert sich der ehemalige Bürgervereinsvorsitzende Heinz Lemmens. Auch wenn man sich mittlerweile mit der Großstadt arrangiert hat - auch heute noch fühlen sich die Rheindörfer gelegentlich noch als "Stiefkind Kölns", sagt Lemmens. Sein Nachfolger Dieter Metz nennt etwa die schlechte Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und fehlende öffentliche Einrichtungen als Minuspunkte. Geschäfte sind ebenfalls Mangelware. In Langel gibt es nur eine Metzgerei und einen Kiosk, und der Friseur in Rheinkassel deckt auch nicht gerade den täglichen Bedarf.
Auf der "Habenseite" verbucht Metz einen "sehr hohen Lebenswert". Den Fluß vor der Haustür, die Rheinauen und Felder drumherum, das sei "wie Urlaub", schwärmt Metz. "Die Kinder haben ihre Freiräume zum Spielen, und wir fahren, wann immer möglich, mit dem Fahrrad." In Langel und Rheinkassel gebe es noch eine intakte dörfliche Struktur mit Vereinen und einer funktionierenden Nachbarschaft, sagt der Bürgervereinsvorsitzende.
Das Vereinsleben liegt Klaus Wolfgang Jünger von der Dorfgemeinschaft besonders am Herzen. Auch wenn sich in diesem Jahr erstmals kein Dreigestirn gefunden hätte, einen Karnevalszug durch die Rheindörfer werde es auch in dieser Session geben. Das einzige, was ihn störe, sei der "viele Dreck", den Ausflügler vor allem im Bereich der Rheinfähre hinterließen. Mit Erfolg habe man sich auch gegen die Jetski-Fahrer gewehrt, die bis zum vergangenen Jahr im Sommer auf dem Rhein ihre lärmenden Runden drehten. Nach dem Verbot ist wieder die dörfliche Ruhe eingekehrt in Langel, die die Bewohner so schätzen.
Die funktionierende Nachbarschaft bewährt sich vor allem, wenn mal wieder der Rhein sich aus seinem Bett erhebt. "Bei Hochwasser wohnen wir nicht am Strom, sondern im Strom", sagt Metz. Ab Rheinpegel 8,60 Meter ist sein Hof, der vor dem Schutzdamm liegt, von den Fluten eingeschlossen. Inzwischen habe sich eine eingespielte Notgemeinschaft im Ort gebildet, die sich gegenseitig beisteht, berichtet er. Doch auch die Stadt, von der man sich beim "Jahrhunderthochwasser" 1993 gegenüber den Flutopfem in Rodenkirchen ein wenig vemachlässigt fühlte, habe bei den Rekordfluten 1995 hervorragend gearbeitet, meint der Vorsitzende des Bürgervereins.
Einen hohen Preis für den sonst so ungetrübten Rheinblick zahlen bei Hochwasser auch die Bewohner von Kasselberg. Alle Jahre wieder verwandelt sich der Weiler mit seinen zehn Häusern und dem von der Gaststätte "Zum Gretchen" betreuten Campingplatz für 50 Dauergäste in eine vom Strom umspülte Insel. Während die Camper ihre Wagen ins Trockene retten können, zieht in die Häuser regelmäßig der Fluß ein. Auch wenn's manchmal "zum Heulen" sei - vertreiben lassen wollen sich "Gretchen"- Wirtin Margarete Bast und ihre Nachbarn nicht von den Fluten. Auch bei Hochwasser harren die meisten Kasselberger in ihren Häusem aus. Einzige Verbindung zum "Festland" sind dann Boote.
Vom millionenschweren Hochwasserschutzkonzept der Stadt profitieren nur die Bewohner der Rheindörfer, deren Häuser hinter dem Damm liegen. Doch schon mehren sich Stimmen unter den Rheinanliegem, die der geplanten Aufstockung der Schutzdeiche mit gemischten Gefühlen entgegensehen. Statt des freien Blickes auf den geliebten Strom werde man wohl künftig nur noch die Grasnarbe des Deiches zu Gesicht bekommen.