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Kölnische Rundschau vom 28. April 1981, Autor: Wysocki

Schulstreik aus Angst

Nach Todesunglück in Rheinkassel schicken Eltern Kinder nicht zum Unterricht

Annette Blankenstein, Lehrerin der Klasse 4b der Merkenicher Grundschule stand gestern Morgen vor leeren Bänken. Die Eltern der 22 Jungen und Mädchen hatten ihre Drohung wahr gemacht, ihre Kinder nach den Osterferien nicht mehr in die Schule nach Merkenich zu schicken.
Der Grund dieser ungewöhnlichen Protestaktion: Mit dem Bus müssen die Schulkinder täglich nach Merkenich fahren. Der Platz in der Grundschule Rheinkassel reicht nur für drei Klassen.
Am 21. März kam die zehnjährige Gabi Nörthemann – sie ging in die vierte Klasse – bei einem tragischen Unfall auf dem gefährlichen Weg zur Schule ums Leben. Vier Jungen aus der Klasse 4b wurden bei dem Unglück schwer verletzt und liegen noch im Krankenhaus.
Jetzt steigen die Eltern der Grundschüler – sie kämpfen seit Jahren gegen die Auslagerung der Klasse – auf die Barrikaden. „Unsere Kinder“, erklärt Peter Jungbluth, Vater von zwei Töchtern, „schicken wir nicht mehr nach Merkenich! Entweder sie werden in Rheinkassel unterrichtet oder gar nicht.“
Eltern und Kinder haben seit dem Unfall Angst. Der gefährliche Schulweg, sind sie sich einig, muss nicht sein. Mit der Unterstützung des Bürgervereins kämpfen sie tapfer für einen Unterrichtsraum in Rheinkassel.
Am Montagmorgen trafen sie sich zu einer Diskussionsrunde mit Schulleiter Rudolf Clever und Schulrat Gerd Räther in der Grundschule Rheinkassel. Pflichtbewusst notierte sich der Schulamtsvertreter auch die Wünsche der Eltern. Zuständig, so bemerkte Gerd Räther aber gleich zu Anfang, sei er für das Raumproblem nicht. Er versprach jedoch die Argumente der Eltern („Unsere Kinder haben nach dem Unfall Angst in den Bus nach Merkenich zu steigen“ oder „Schließlich kann die vierte Klasse doch im Pfarrheim Rheinkassel unterricht werden“,) dem Regierungspräsidenten vorzutragen.
Leicht wird es den Aufgebrachten Eltern jedoch nicht gemacht. Der steinige Weg durch die Bürokratie, der zu einem neuen Klassenraum führt, ist für die Mütter und Väter, denen der Schreck des Unglücks noch in den Gliedern steckt, neu und unverständlich.
Da ist zunächst einmal der Beschluss der Schulkonferenz nötig, ein Raum muss gemietet werden, die Lehrerin braucht die Erlaubnis, außerhalb der Grundschule Merkenich zu unterrichten. Und Geld kostet die ganze Sache natürlich auch. Zumindest in diesem Punkt kann der Bürgerverein aktiv werden. „Die Mittel für die Einrichtung eines neuen Klassenraumes“, sagte Heinz Lemmens, Vorsitzender des Bürgervereins, „stellen wir zur Verfügung.“
Immerhin versprach Gerd Räther eine Lösung zu finden, auch wenn es „den Eltern nicht zusteht, sich die Schulräume für ihre Kinder auszusuchen“. Auf jeden Fall, erklärte der Schulrat, müsse jetzt erst einmal „Dampf abgelassen werden“. Doch auch eine Notlösung – Räther will sich dafür einsetzen, dass die drei Schulräume in Rheinkassel stundenweise zwischen den vier klassen aufgeteilt werde – ist den Eltern lieber, als tägliche Angst um die Kinder haben zu müssen. Die Politiker haben zu dem Thema bisher geschwiegen. Dieter Trappe, Vorsitzender des Schulausschusses im Stadtrat: „Ich bin gerade erst aus dem Urlaub zurück gekommen“. Auch für Schuldezernent Dr. Wolfgang Leirich war das Problem der Rheinkasseler Eltern einen Monat nach dem Unglück noch nicht akut.
Er ist der Ansicht, dass es „pädagogisch besser wäre, die Kinder in Merkenich zu unterrichten“. Aber im Prinzip, erklärte er gestern, habe er nichts dagegen, dass alle vier Klassen in Rheinkassel unterrichtet werden. „Irgendwann“, sagte der Schuldezernent, „müssen dann halt die nötigen Raumvoraussetzungen geschaffen werden.“



Kommentar von Engelbert Greis:

Runter vom hohen Ross!

Entweder ist es eine unglaubliche Frechheit, was da gestern in Rheinkassel über die Bühne gegangen ist, oder man darf es nur noch als kaum beschreibbare Gleichgültigkeit werten.
Da hatten die besorgten Eltern schon vor einem Monat einen Schulstreik angekündigt, wenn sich niemand um einen sicheren Schulbesuch ihrer Mädchen und Jungen kümmern sollte. Doch Reaktionen aus Rat und Verwaltung kamen selbst nach dem Tod einer Elfjährigen und den lebensgefährlichen Verletzungen von vier Klassenkameraden nicht.
Für den Schuldezernenten ist das Problem nicht akut, der Vorsitzende des städtischen Schulausschusses weiß nach seinem Osterurlaub nichts zur Sache, und vom Regierungspräsidenten wird schließlich ein armer Schulrat zu den erbosten Eltern geschickt, der überhaupt nicht zuständig ist.
Gleichgültig, ob die Mütter und Väter eine berechtigte Forderung stellen mit der Unterbringung ihrer Kinder in der zu kleinen Dorfschule: So kann und darf man nicht mit engagierten und in diesem Fall auch verängstigten Eltern umspringen.
Hier werden in Rheinkassel klare Fragen gestellt und Angebote gemacht, da müssen von Rathaus und Regierungspräsidium auch prompte Antworten gegeben werden. Auf welchem hohen Ross sitzen die Herren Räte und Dezernenten eigentlich, dass sie hilfesuchende Bürger so einfach abfahren lassen?