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Kölnische Rundschau vom 4. Mai 2002, Autor: Helmut Frangenberg

Der Müller von Holpe hat Frieden mit Köln geschlossen

Ehemaliger Zwangsarbeiter erkannte sich in Rundschau wieder

Spurensuche vor der Pfarrkirche in Rheinkassel: Karol Mrocziewicz kann sich an viele Details erinnern. Wie er mit rund 30 anderen Polen im Pfarrhaus geschlafen hat, wie der Pfarrer für sie am Sonntag eine Messe las oder wie sein Freund im Luftschutzkeller starb.

Doch hier im verkehrsberuhigten idyllischen Stadtteil zwischen Rhein und vielen Wiesen sind die Spuren rar geworden. Der 88-jährige Mann macht ein Foto von der Kirche, lächelt und geht zurück zum Auto.

Die weiteren Stationen auf seiner Reise in die Vergangenheit sind Bauernhöfe in Lövenich und Marsdorf, eine Mühle in Worringen und ein Lövenicher Tanzsaal, in dem einst 200 Kriegsgefangene untergebracht waren. Auch hier erinnert wenig an die Zeit, die er in Köln verbringen musste.

"Das ist eine besondere Reise", sagt der Mann aus Duszniki bei Posen in nahezu perfekten Deutsch, das er auch nach 57 Jahren nicht verlernt hat. Man habe ihn gut behandelt, erinnert er sich an seine Zeit in Deutschland.

Einen Groll oder gar Hass auf die Deutschen habe er nie gehabt, sagt er - "obwohl ich Grund dazu gehabt hätte". 1939 war er als Kriegsgefangener ins Deutzer Messelager gekommen. Bis 1940 musste er in Arbeitskommandos arbeiten. In Rheinkassel schließlich wurde der gelernte Müller in den Zivilstatus überführt und zur Arbeit auf einem weiteren Bauernhof und in einer Worringer Mühle gezwungen. Von 1942 bis 1945 betrieb er eine Mühle in Holpe an der Sieg.

Sein Vater war zwischenzeitlich im KZ Dachau umgebracht worden. Ein Bruder starb in Auschwitz, ein anderer endete im Massengrab von Katyn. Eine Tochter starb an den Spätfolgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Doch der rüstige Mann, der zur Zeit mit 19 anderen ehemaligen Zwangsarbeitern auf Einladung der Stadt und der Projektgruppe Messelager Köln besucht, klagt nicht.

"Ich habe mich damit abgefunden", sagt er und fügt ohne Sarkasmus hinzu: "Das war Schicksal". Im Vergleich zu anderen sei es ihm noch relativ gut ergangen.

Während der einen Woche in Köln redet Mrocziewicz viel über die sechs Jahre in Deutschland. Mit seinen Kindern oder Enkeln habe er noch nie ausführlich darüber gesprochen, sagt er. Jetzt lässt er sich von Wissenschaftlern ausfragen.

Das NS-Dokumentationszentrum sammelt Informationen über ein Kapitel deutscher Geschichte, das längst noch nicht ausreichend erforscht ist. Mühsam werden "Arbeitgeber" gesucht. Oft haben die ehemaligen Zwangsarbeiter kaum Erinnerungen an Namen oder Adressen. Nicht alle haben wie Mrocziewicz mit am Tisch der Bauernfamilie essen dürfen, für die sie arbeiten mussten.

Nach Holpe hat der Müller immer noch gute Kontakte. Einen Deutschen, der als Kind immer an der Mühle vorbei gelaufen war, hat er in den 70-er Jahren wieder getroffen. Der deutsche Freund, erzählt Mrocziewicz, habe ihm im letzten Jahr einen Artikel der Rundschau über die Diskussion um die Zwangsarbeiter-Entschädigung geschickt.

Auf dem dazu gehörenden Foto, das Kriegsgefangene im Messelager zeigte, erkannte er sich wieder und meldete sich darauf hin bei der Stadt. "Es ist gut, dass Köln die Zwangsarbeiter einlädt. Das ist ein viel wirkungsvolleres Zeichen für Versöhnung als ein bisschen Geld zur Entschädigung", meint er. Der Müller von Worringen und Holpe hat seinen Frieden mit Köln und den Deutschen gemacht.

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